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Freies Wort vom 17.10.2008: "Als es weh tat, sagte er kein Wort. Das rächte sich."

Medizinrecht | Nach einem Termin beim Arzt seines Vertrauens musste ein Patient für mehrere Wochen ins Krankenhaus. Nun ist die Sache vor Gericht

Von Uwe Appelfeller

Meiningen - Ein Monat seines Lebens sei ihm gestohlen worden, sagt Anton Amsel*. Durch einen medizinischen Behandlungsfehler, der ihm einen mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt bescherte. Und ihn noch dazu in eine lebensbedrohliche Situation brachte, wie der 73-Jährige selbst einschätzt. Der folgenreiche Arztbesuch von Anton Amsel liegt drei Jahre zurück und ist nun ein Fall fürs Meininger Gericht. Während dieser drei Jahre hatte sich der Leidensweg des Rentners aus Südthüringen fortgesetzt. Allerdings vorwiegend auf der Behördenebene.

Jetzt sitzt Amsel im Raum 211 des Meininger Landgerichts und muss sich erinnern, an eine schmerzhafte Behandlung beim früheren Arzt seines Vertrauens. Muss Richtern, Anwälten und dem beschuldigten Arzt gegenüber sitzen und über den Tag sprechen, an dem sein Vertrauen in die Ärztezunft, die Halbgötter in Weiß, komplett zerstört wurde.
Die Vorgeschichte: Im Jahr 2003 bekam Anton Amsel eine niederschmetternde Diagnose: Blasenkrebs. Doch der Tumor konnte im Meininger Klinikum operativ entfernt werden. Amsel musste anschließend regelmäßig zur Nachbehandlung zu einem Thüringer Urologen. Dort ging im August 2005 eine Routinebehandlung vermutlich schief: Einer Krankenschwester des Arztes unterlief, behauptet Amsel, ein kleiner, aber folgenschwerer Fehler. Doch weder die Schwester noch später der Urologe wollen die Fehlbehandlung bemerkt haben. „Mit einem Katheter bekam ich Injektionen durch die Harnröhre in die Blase", beschreibt Amsel die an sich schon nicht sonderlich angenehme Behandlung.
Bazillus Cälmette-Guerin (BOG) nennt sich das verabreichte Mittel, es besteht aus abgeschwächten Rindertuberkulose-Bakterien. Dieses BCG .wird seit einigen Jahren zur Behandlung von Harnblasen-Karzinomen genutzt, um das Wachstum des Tumors einzudämmen.

„Handschuhe waren plötzlich blutrot"

Fünf Mal hätte diese Prozedur - medizinisch Instillation genannt - in den Monaten zuvor problemlos geklappt, sagt Amsel. Doch dann sei beim Einführen eines Katheters in die Harnröhre Blut geflossen. Vermutlich hatte die Krankenschwester nur ein klein wenig daneben gelegen: „Ich erinnere mich, wie die butterfarbenen Latexhandschuhe der Krankenschwester plötzlich hellrot gefärbt waren", beschreibt Amsel den drei Jahre zurückliegenden Vorfall detailgetreu. Er habe eindeutig aus der Harnröhre geblutet. Dennoch habe die Frau mehrfach nachgebohrt, erfolglos. Dann soll sie einen zweiten Katheter verwendet haben, erinnert sich der Rentner. Und ergänzt seine unangenehmen Erinnerungen: „Ich bin vor Schmerzen fast wahnsinnig geworden!"

Im Nachhinein, meint er, sei es wohl ein Fehler gewesen, dass er die Schwester nicht schon während der missglückten Instillation auf den Vorfall angesprochen habe. „Ich konnte in dem Moment nicht ans Reden denken - ich wollte nur noch, dass diese Behandlung so schnell wie möglich zu Ende geht."
Die Krankenschwester hingegen hat die Situation ganz anders in Erinnerung. Sie habe den Katheter mit dem BCG problemlos eingeführt, erklärt sie dem vorsitzenden Richter Gerhard Wilhelms. Zwar erinnerte sie sich daran, eine zweite Kanüle benutzt zu haben, weil sie mit der ersten auf Widerstand gestoßen sei - aber es sei zu keiner Blutung gekommen und der Patient habe offenbar auch keine Schmerzen gehabt. „Was Herr Amsel sagt, stimmt nicht. Ich habe mit dem Katheter nicht mehrfach nachgebohrt", erklärt sie. Die 52-jährige Thüringerin arbeitet seit 30 Jahren in der Urologie, seit 1980 sind Instillationen für sie Routineübungen.
Und während sich der Zivilrichter darüber wundert, „wie unterschiedlich zwei Menschen den gleichen, relativ unkomplizierten Sachverhalt schildern können", ärgert sich Anton Amsel.

Doch seine Frau bestätigt, dass ihr Mann mit Blutspuren an der Hose nach Hause gekommen ist. „Deine Hose ist schmutzig", habe sie gesagt, als er vom Arztbesuch zurück war. Doch als sie merkte, dass die Schmutzflecken in Wirklichkeit Blutflecken waren, habe sie vor Aufregung gezittert. „Ich bin im Prinzip ein harter Hund und vertrage eine Menge Schmerzen", resümiert Amsel, „ich habe der Sache zunächst keine Bedeutung beigemessen, deswegen habe ich weder zum Urologen

 

noch zu seiner Krankenschwester etwas gesagt. Ich dachte, ich stecke das weg."

Mit Blaulicht ins Krankenhaus
Doch die Schmerzen im Unterleib blieben, sie wurden zur Hölle, wenn Amsel Wasser lassen musste. Wenige Stunden später bekam der Rentner plötzlich hohes Fieber. „Ich habe gar nichts mehr gemerkt, das hat mich niedergestreckt wie ein Hammerschlag - ich war wie tot", sagt er. Trotz des Fiebers blieb Amsel noch über eine Woche zu Hause, wandte sich vertrauensvoll an seinen Urologen. Der riet ihm zu fiebersenkenden Medikamenten. Nach zehn Tagen schließlich, als das Fieber noch einmal zulegte, rief seine besorgte Frau einen Krankenwagen - Anton Amsel wurde mit Blaulicht ins Krankenhaus Zella-Mehlis gebracht, später ins Klinikum Suhl verlegt. Für insgesamt vier Wochen. Vermutlich verfehlten während der offenbar verunglückten Katheter-Aktion einige Tuberkulose-Erreger ihr vorgesehenes Ziel - die Harnblase. Von dort kann sie der Patient nämlich auf natürlichem Weg wieder ausscheiden, nachdem sie gegen die Krebskarzinome gekämpft haben. „Wenn aber BCG-Tuberkulose-Erreger in die Blutbahn kommen, dann ist das eine gefährliche Sache", sagt Amsels Fachanwältin für, Medizinrecht, S. C. Melanie Holthus. Die logische Folge: Eine Infektion mit dem Tuberkulose-Erreger.

Bald wurde Anton Amsel bewusst, dass er Opfer eines Behandlungsfehlers geworden sein könnte. Er wandte sich an die Schlichtungsstelle für Arzthaftungs-Fragen in Hannover. Dort werden Streitigkeiten nach ärztlichen Behandlungsfehlern außergerichtlich geklärt. Denn einerseits hatte die für Anton Amsel zuständige Techniker Krankenkasse die Krankenhauskosten in voller Höhe übernommen, andererseits erhofft sich Amsel einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Allein der Krankenhausaufenthalt kostete 7000 Euro. Dafür hätte die Berufs-Haftpflichtversicherung des Arztes aufkommen müssen. Monate gingen ins Land, bis ein medizinisches Gutachten der Schlichtungsstelle ihm Recht gab: Die Instillation hätte nach dem ersten Fehlversuch sofort abgebrochen werden müssen - so wäre eine BCG-Infektion vermeidbar gewesen.
Das Gutachten bestätigte also Amsels Angaben in allen Punkten. Doch die Schlichtungsstelle bewertete den Fall umgekehrt: Dem Arzt und seiner Krankenschwester sei nichts vorzuwerfen. Nun strengt Anton Amsels Krankenkasse einen Zivilprozess gegen den Arzt an. Vertreten durch die norddeutsche Anwältin Holthus, die generell Krankenkassen und Patienten vertritt. Mit offenbar guten Erfolgsaussichten, auch wenn Richter Wilhelms das Ende des Verfahrens vertagt hat. Sollte das Gericht dem Arzt oder seiner Schwester in dem Prozess einen Fehler nachweisen, dann bekommt die Krankenkasse ihr Geld zurück. Und damit wäre auch dem Patienten geholfen, denn anschließend kann Amsel Schmerzensgeld fordern. Und einen Ausgleich für die verlorene Zeit, die er im Krankenhaus zubringen musste.
Selbst einen Prozess gegen den Arzt zu führen, hätte Amsel sich nicht leisten können - wegen der vierstelligen Summe für Gerichtskosten, die es vorzustrecken galt. „Es ist schwer, Prozessfinanzierer zu finden. Und viele Betroffene können die hohen Gerichtskosten nicht aufbringen", sagt Amsel. Wo genau sein Problem liegt, erklärt Anwältin Holthus knallhart: „Anton Amsel ist 73 Jahre alt. Ich befürchte, die Schlichtungsstelle, die Versicherungen und die Ärzte spielen bei ihm auf Zeit - und vertrauen auf die biologische Lösung."

Einen Monat seiner Lebenszeit hat Amsel im Krankenhaus vergeudet. Er weiß nicht, wie viel Zeit ihm der Krebs noch lässt. Da ist es nur verständlich, dass er dafür entschädigt werden will. Doch in Anton Amsel ist noch eine weitere Erkenntnis gereift: „Ärzte sind auch nur Menschen, die Fehler machen. Das muss auch dem Gericht klar werden, damit solche Schlamperei aus den Praxen und Kliniken verschwindet."
So macht sich Anton Amsel seinen eigenen Reim auf das juristische Scharmützel: „Nur mit der vergessenen Schere im Bauch wird ein ärztlicher Fehler offenbar anerkannt."

(* Name wurde von der Redaktion geändert)

Ärztefehler
Nach Experten-Meinungen sterben in Deutschland pro Jahr 17 000 Krankenhauspatienten wegen Behandlungsfehlern. Im vergangenen Jahr wandten sich 10 432 Patienten mit Fragen zur Arzthaftpflicht an die Schlichtungsstellen der Ärztekammern, weil sie meinten, falsch behandelt worden zu sein. Im Jahr 2006 erstellte die Schiedsstelle 7049 Gutachten.


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